In den Tiefen der Kleinen Dolomiten: Luftschutzbunker der deutschen Besatzer

April 2020 | Ortstermin

Bauwerke als Zeitzeugen: Hier wurde das Ende des Zweiten Weltkriegs eingeläutet

Als ich mich am Ende des Winters auf die Reise nach Vicenza machte, wollte ich einmal mehr mein Interesse an Architektur und Italien miteinander verknüpfen: Ich war gespannt auf die berühmten Bauten Palladios, die für diese und andere Städte prägend sind.
Auf den Abstecher nach Recoaro Terme, in die nahegelegenen Kleinen Dolomiten, freute ich mich ebenso. Es erwartete mich eine geführte Wanderung in abwechslungsreicher Berglandschaft. Hier richteten sich meine Erkundungen aber nicht auf Gebäude, sondern eher auf Wasser in jeder Form: Das Frühjahr kündigte sich schon an, aber letzte Schneefälle ermöglichten noch eine Schneeschuhwanderung. Recoaro liegt am Oberlauf des Gebirgsflusses Agno, im gleichnamigen Tal Valle dell’Agno, wo aufgrund des Wassers Wollweberei und Textilindustrie zur Blüte kamen. Wasser hatte Recoaro zudem als Kurort einst berühmt gemacht. Im 16. Jahrhundert entdeckte man auf einem Bergplateau Thermalquellen und richtete im 18. Jahrhundert ein Thermalbad ein, die Fonti centrali, wo der Besucher noch heute in wohltuenden mineralischen Quellen baden kann.
Das Bergstädtchen Recoaro – ein reicher Quell für Thermalwasser, aber auch Inspirationsquelle für Nietzsche während seiner Sommerfrische 1881: Es heißt, hier habe er sein Werk Also sprach Zarathustra begonnen. Mich inspirierte der Aufenthalt in dem kleinen Gebirgsbad dagegen zur Beschäftigung mit einem besonderen Teil der deutsch-italienischen Geschichte: der Bautätigkeit durch Deutsche in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges.

Der durchlöcherte Berg: Ein ganzes System an Luftschutzanlagen für das Hauptquartier der deutschen Heeresgruppe

Der Auftakt zur Wanderung mit dem ortskundigen Bergführer führte unsere kleine Wandergruppe – ganz überraschend – in Recoaros Unterwelt. Italien war 1943 durch die Deutschen besetzt worden. Im September 1944 wurde das im Alpenvorland strategisch günstig gelegene Recoaro nach dem kurzfristigen Bau weitläufiger Stollenanlagen zum Hauptquartier der Wehrmacht in Italien. Die geschützte Berglage der Thermalquellen und die Hotels, deren Zahl mit der touristischen Erschließung und dem Ruhm des Kurortes angewachsen waren, boten ideale Möglichkeiten, rund 1500 Soldaten unterzubringen: Man okkupierte kurzerhand die Hotels.

Blick auf die heutige Thermenanlage in Recoaro

Um den Schutz der Truppen auch im Falle eines Luftangriffes zu gewährleisten, baute man, nahe zu den besetzten Hotels, diverse mit Beton oder Mauerwerk ausgekleidete Tunnelröhren in die Berge. Auf dem Gelände des Thermalbads entstand der größte und wichtigste Luftschutzstollen, der als Kommandozentrale der Heeresgruppe C diente und Platz für Büros bot. Insgesamt durchziehen 25 Tunnelbauten labyrinthartig das Felsmassiv, ergänzt durch sechs überirdische Luftschutzbunker sowie zahlreiche Schutzgräben. Die Planung stützte sich auf die Fachkenntnis italienischer Ingenieure, die Ausführung auf örtliche Baufirmen, die vor allem die Einwohner aller Altersschichten aus Recoaro und den Nachbargemeinden rekrutierten.
Der rund um Recoaro anstehende Fels besteht aus Quarzphyllit, einem durch Gesteinsmetamorphose entstandenen Schiefer mit ausgeprägtem Glimmer. Das Gestein eignet sich sehr gut für solche Art von Bauten.

Vor 75 Jahren: Der Anfang vom Ende. L’inizio della fine.

Dieses Hauptquartier in Norditalien spielte für das Ende des Krieges eine wichtige Rolle. Nachdem die Alliierten viele Gebiete bereits befreit hatten, wurde der in den Bergen gelegene Standort des Oberbefehlshabers zum primären militärischen Ziel. Am 20. April 1945 starteten die amerikanischen Luftstreitkräfte einen Angriff mit 18 Bombern. Während bei den Bombardierungen die historischen Thermenanlagen völlig zerstört wurden, blieben die Luftschutzräume unbeschädigt. Die Verluste auf deutscher Seite waren wohl nur gering. Jedoch befand sich die deutsche Wehrmacht bereits in einer aussichtslosen Lage: Der Nachschub aus dem Norden war aufgrund zerstörter Infrastruktur kaum noch möglich und die andauernde Frühjahrsoffensive der Alliierten bedeutete seit Anfang April massive Angriffe auf deutsche Stellungen.
Schon seit Ende Februar 1945 liefen unter dem Namen „Operation Sunrise“ Kapitulationsverhandlungen zwischen deutschen Offizieren und Amerikanern. So verborgen diese Tunnelanlagen noch heute sind, so geheim waren damals auch die sehr zähen, aber für das Kriegsende ausschlaggebenden Verhandlungen, die hinter Hitlers Rücken stattfanden. Am 22. April 1945 fand im Kommandobunker in Recoaro ein für den weiteren Verlauf entscheidendes Zusammentreffen der deutschen Militärführer in Italien statt (Kesselring-Nachfolger Oberbefehlshaber von Vietinghoff, General Wolff als Oberkommandierendem der SS in Oberitalien sowie weitere Deutsche), deren Entscheidungen letztlich am 29. April 1945 zur Teilkapitulation von Caserta und zum Rückzug deutscher Einheiten führten.

Ans Licht: Zeitgeschichte erfahren

Diese stummen Zeugen des Zweiten Weltkriegs waren lange im Ortsbild nicht sichtbar, die Zugänge zu den Tunnelsystemen verschüttet und überwachsen. Dank einer örtlichen Initiative, der Associazione Bunker Recoaro 1944–1945, ist wieder Interesse an den fast vergessenen Luftschutztunneln entstanden: die Eingänge wurden freigeräumt, die Historie erforscht. Manche Bauten sind sogar zu besichtigen.

In den Sommermonaten werden geführte Besichtigung angeboten. Der Eingang zum Kommandobunker befindet sich in der Parkanlage der Fonti Centrali. (Infos auf italienischsprachiger Website der Thermenanlage)

Bunkeranlage im Video sowie historische Fotos der Bauten

Der ehemalige Kommandobunker wurde von der Ortsinitiative vorläufig zugänglich gemacht. Einen musealen Charakter kann man viele Meter unter der Erde nicht erwarten. Die Eindrücklichkeit ist in dem sehr begrenzten Raum mit hoher Feuchtigkeit umso höher. Die vielen Infotafeln vermitteln die Geschichte dieses größten Luftschutzbaus anschaulich. Den historisch bedeutsamen Ort besuchen zu können, ist ein wichtiger Beitrag zur Erinnerung an diese Epoche. Kleine Rinnen rechts und links der Tunnelgänge begleiten einen auf dem Weg wieder hinaus ins Freie und weckten bei mir die zum Glück noch heute wichtige Assoziation für diesen Ort – das Wasser!

Eine Nachnutzung der Tunnelbauten ist zumeist unmöglich, einige wenige von ihnen sind heute in privater Hand und dienen als Weinlager. Dennoch werden die alten Zugänge im Ort wieder freigelegt: Das ermöglicht für Anwohner und Besucher zumindest die Beschäftigung mit der bedeutenden Zeitgeschichte!

Gemeinsam mit der Gemeindeverwaltung und mehreren Ortsverbänden plant der Recoareser Architekt Roberto Besco ein in den Ort integrierten Museumsparcours: „Recupero museale dei bunker tedeschi di Recoaro Terme“. Das Projekt sieht die Öffnung mehrerer Tunnelanlagen für Publikum vor, mit kulturell-geschichtlicher Vermittlung und geführten Besichtigungen.

Militärische Bauten in Norditalien: Bunker, Tunnel

In den letzten Jahren lässt sich ein „Wiederentdecken“ von Bunkeranlagen und Militärbauten an mehreren Orten in Italien beobachten, einhergehend insbesondere mit Veröffentlichungen oder lokalen und touristischen Aktivitäten. Eine der bekanntesten ehemaligen Militärstraßen in Italien, die Strada delle 52 gallerie, im Ersten Weltkrieg als Versorgungsweg mit vielen Tunneln durch schroffe Felsen entstanden, ist heute ein beliebter Wanderweg. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bunkerbau in Italien keineswegs nur von deutscher Seite betrieben. Bereits 1938 machten sich die Italiener an die Errichtung eines Schutzwalls gegen das Deutsche Reich – den Vallo Alpino del Littorio (VAL), immer entlang der Alpen von Ost nach West.
Aus der Überzeugung, das schwierige Erbe der Verteidigungsanlagen des 20. Jahrhunderts gehöre zur Kulturlandschaft, gründete der Bozener Architekt Heimo Prünster zur weiteren Erforschung und Erschließung gar das Institut für Angewandte Bunkerologie. Nicht zuletzt widmete die Zeitschrift der Architekturstiftung Südtirol, TURRIS BABEL, dem Thema der Bunker eine ganze Ausgabe: »BUNKERLANDSCHAFT SÜDTIROL – PAESAGGI FORTIFICATI« (12/2017).

Paolo Asnicar, Bergführer aus Recoaro und Mitglied der Associazione Bunker Recoaro 1944–1945, führte mich durch die verborgenen Bunkerbauten. Er beschreibt die Ziele der Initiative:

“In primo luogo la cittadina di Recoaro è stata coinvolta completamente nelle ultime fasi della Seconda Guerra mondiale, già a partire dalla fine estate 1944, e utilizzata come sede del Comando del Gruppo di Armate C e dell’Alto Comando della Wehrmacht in Italia, dal quale dipendevano le operazioni sulla Grüne Linie (Linea Gotica), fino alla resa delle truppe tedesche che avvenne dopo il bombardamento da parte degli Americani, visto che i negoziati segreti in corso con gli Alleati si erano bloccati.

Quindi per noi Recoaresi diventa un punto di orgoglio sapere che il nostro paesello è stato un tassello della storia con la decisione di resa incondizionata delle truppe tedesche in Italia, salvando molte vite umane sia da una parte che dall’altra del fronte, diventando un paese di PACE.

La nostra associazione, che si fregia di storici, professori e appassionati, vuole dare la possibilità di fare conoscere questi luoghi, per visitarli e valorizzarli nel modo migliore, fornendo anche un servizio di accompagnamento su richiesta tutto l’anno e un calendario di aperture estivo per i turisti e appassionati.
Questo ci permette anche di offrire un modo diverso di parlare di storia alle scuole di tutti i livelli, avvicinando le future generazioni alla scoperta della propria storia e del proprio territorio.”

„Die kleine Stadt Recoaro wurde im Grunde erst in der Schlussphase in das Geschehen des Zweiten Weltkriegs hineingezogen, da jedoch gänzlich. Seit dem Ende des Sommers 1944 nutzte die deutsche Wehrmacht den Ort als Quartier der Heeresgruppe C mit dem Oberkommando in Italien. Von hier gingen die Operationen an der „Grünen Linie“ (Gotenstellung) aus, aber auch die Kapitulation der deutschen Truppen nach der Bombardierung durch die Amerikaner, nachdem geheime Verhandlungen mit den Alliierten ins Leere gelaufen waren.

Dass hier die Wende der Geschichte besiegelt wurde, mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Italien, und viele Leben auf beiden Seiten der Front gerettet werden konnten, lässt uns Einwohner mit Stolz auf Recoaro, den Ort des FRIEDENS blicken.

Unsere Initiative, in der sich Historiker, Lehrer und engagierte Bürger zusammengeschlossen haben, hat sich zum Ziel gesetzt, diese Schauplätze bekannt zu machen, sie für Publikum zu öffnen und in angemessener Form zu erhalten. Wir wollen das ganze Jahr über geführte Besichtigungen und im Sommer besondere Öffnungstermine für Touristen und Interessierte anbieten.
Das ermöglicht uns zudem, mit Schulklassen aller Altersgruppen auf andere Weise über Vergangenheit zu sprechen und kommenden Generationen Geschichte und Region nahezubringen.“

Quellen nachlesen: Literatur

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Maren Paetzold
Maren Paetzold

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