Frühstück auf Sizilianisch: die Brioche vereint kulturelle Vielfalt und traditionelle Küche

April 2019 | Der Geschmack der Wörter

In Palermo treffen seit jeher diverse Kulturen und Nationen aufeinander. Beim typischen Frühstück kulminiert diese historische und kulturelle Vielfalt: Mit der Brioche in der Hand sitzen – nicht nur was das Rezept angeht – Sizilianer, Franzosen und Chinesen an einem (Frühstücks)Tisch!
Un momento, möchten Sie sagen: Italien ist für seine vielen Spezialitäten bekannt, jedoch nicht gerade für das Frühstück. Das stimmt – nur zum Teil. Auf Sizilien kommt man um eine Frühstücksspezialität nicht umhin: Brioche, mit Eis gefüllt oder zur Granita. Nun gut, je nach Jahreszeit schmeckt das auch bestens am sonnigen Nachmittag.

Kulturelle Einflüsse aus dem Norden: Sizilien unter normannischer Herrschaft

Nicht nur der Normannenpalast, der über Palermos Altstadt thront, erinnert an diese bedeutende Epoche. Auch die Brioche ist, wie schon der Klang verrät, französischer bzw. normannischer Abstammung: Im Normannischen bedeutete brier das Kneten des Teiges.

Die Brioche – trägt Französisch im Namen und duftet nach sizilianischen Aromen

Lange war das feine Gebäck nur den Adelsfamilien vorbehalten. Heute kann man auf Sizilien Brioche in der klassischen runden Form an jeder Ecke kosten. Zuhause lässt sich dieses aromatische Brot als pan brioche in einer Kastenform backen und in Scheiben genießen. An einem Abend mit der Chefköchin Melania Guarneri in der Città del gusto di Palermo, der Kochschule des Gambero Rosso, wurden nicht nur das Rezept erläutert, sondern ganz praktisch die einzelnen Schritte vorgeführt und nachvollzogen.

Parola di Chef: Gute Zutaten und solides Handwerk

Im Vergleich zu französischen Brioches weist das sizilianische Rezept höchstens halb so viel Butter auf (ca. 20 g Butter je 100 g Mehl). Auch genügt ein einziges Eigelb für eine ganze Kastenform herrlich duftenden pan brioche.
Klassischerweise kommt dieses fluffige Gebäck ohne Zugabe von Backhefe aus (auch Bierhefe genannt, auf Italienisch lievito di birra). Grundlage ist vielmehr ein lang gehegter und gepflegter Weizensauerteig  il lievito madre. Dieser ist zum einen sehr triebstark, sodass keine weitere Hefe benötigt wird. Zum anderen verleihen die Milchsäurebakterien Aromen und sorgen für gute Verdaulichkeit. Sauerteig besteht grundsätzlich aus milchsäure- und essigsäurebildenden Bakterien und Hefen. Je nach Temperatur und Verarbeitung kommen einzelne Anteile mehr zum Tragen.

Bei der sizilianischen Brioche sind mehrere Dinge wesentlich: ein reifer Sauerteig, eine zweifache Gärung und ein Kochstück. 

Ma andiamo con ordine – immer schön der Reihe nach.

Es empfiehlt sich, den Sauerteig mehrere Stunden vor der Nutzung aufzufrischen und bei Zimmertemperatur reifen zu lassen.
Auffrischen heißt: Wasser, Mehl und Sauerteigansatz (auch Anstellgut genannt, im Italienischen: 
lievito madre, lievito naturale oder pasta madre) zu jeweils gleichen Anteilen zu vermengen, also bspw. jeweils 100 Gramm. Der Anteil, der anschließend zum Backen verwendet werden soll, darf gleich bei Raumtemperatur weiter reifen.

Je weniger Hefe ein Gebäck enthält, desto länger ist es haltbar. Auch gehören weder Konservierungsstoffe noch sonstige Zusätze in die traditionelle sizilianische Brioche. Um lange frisch und fluffig zu bleiben, wird möglichst viel Feuchtigkeit im Teig gebunden.

Das gelingt zum einen über eine ausgewogene Rezeptur mit einem recht feucht-elastischen Teig. Zum anderen erreicht man einen höheren Wasseranteil durch ein Kochstück: Ähnlich wie bei einer Mehlschwitze (Italienisch besciamella, nach dem Französischen béchamel) oder einem Pudding werden Wasser und Mehl verrührt und bei kleiner Flamme solange erhitzt, bis die Stärke verkleistert. Das Kochstück kann gut vorbereitet werden. Wichtig ist, es vollständig auskühlen zu lassen; mit einer Folie direkt auf der Oberfläche abgedeckt lässt sich verhindern, dass sich eine Haut bildet.
Im Italienischen gibt es kurioserweise keinen eigenen Begriff: Man spricht bei einem Kochstück von Tang zhong – und greift damit auf den chinesischen Ursprung zurück; teils wird das französische Pendant water roux genutzt.

Zum geschmacklichen und optischen Gelingen trägt auch die lange Teigführung bei:

  • eine energische Vermengung der Grundzutaten per Knetmaschine oder ebenso gut per Hand;
  • erst zum Schluss kommen Salz und stückchenweise Butter hinzu;
  • ist die Masse homogen und löst sich von der Schüssel, bekommt der Teig 30 Minuten Ruhezeit auf einer bemehlten Fläche;
  • anschließend dreifach falten und rundwirken (auf Italienisch: pirlare);
  • 30 Minuten reifen lassen

Dann kann nach Wunsch geformt werden:
Am besten in kleinere Stück unterteilen, zweifach aufrollen und nebeneinander in die Backform setzen.

Dank der hohen Elastizität ist die Formgebung trotz des großen Wasseranteils sehr einfach. Die fertige Form nochmals 30 Minuten ruhen lassen.

Idealerweise erfolgt die Teigführung bei einer Raumtemperatur um die 25 Grad. Das begünstigt die Milchsäurebakterien, die für eine ausgewogene milde Säure sorgen. Nach der letzten Ruhephase kommt die Brioche dann in den vorgeheizten Ofen. Ebenso ist es möglich, die Brioche ofenfertig in der Form vorzubereiten und nach der letzten Ruhephase im Kühlschrank aufzubewahren. Selbst bei den geringen Temperaturen geht der Teig weiter auf und kann aus dem Kühlschrank direkt in den heißen Ofen.

Zu Aromen ist aber noch nicht alles gesagt: Weitere Vielfalt erfährt das Rezept durch Zugabe von geriebener Schale sizilianischer Orangen, Mandarinen oder Zitronen. Je nach Vorliebe können auch getrocknete oder kandierte Früchte, Mandeln und etwas Rum oder Likör hinzugegeben werden.
Zum Osterfrühstück kann das Brioche-Rezept ganz einfach abgewandelt werden: Mit den Grundzutaten lässt sich auch die Colomba di Pasqua, die Ostertaube backen.

Die Zutaten und Mengen für ein Pan Brioche:

Kochstück – tang zhong/water roux
13 g Mehl – farina
65 g Wasser – acqua

Teig – impasto
100 g Weizensauerteig – lievito madre
Kochstück – tang zhong
175–200 g Milch – latte
1 Eigelb – tuorlo
350 g Mehl – farina
50 g Zucker – zucchero

7 g Salz – sale
70 g Butter – burro
Orangen- oder Zitronenzesten – zeste di arancia o limone

Bei 180 ° ca. 40 Minuten backen.

Buon appetito e buona Pasqua!
Guten Appetit und frohe Ostern!

Wer schreibt hier?

Maren Paetzold
Maren Paetzold

Architektur & Sprache

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Wörter, die im Munde zergehen. Überlieferungen aus Italiens Küchen.

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