Venedig: Wie Künstler die Serenissima seit 500 Jahren sehen

Oktober 2016 | Ortstermin

Im Venedig des Nordens – in Hamburg – ermöglicht eine Ausstellung im Bucerius Kunst Forum den Gang durch fünf Jahrhunderte: Von den Anfängen der Vedutenmalerei bis zu aktuellen Darstellungen der Lagunenstadt. 

Venedig – die Faszination der Stadt auf dem Wasser

Fotoaufnahmen von Stadtansichten oder Ansichtskarten sind für Reisende heutzutage selbstverständlich. Im 18. Jahrhundert, als mit der Grand Tour das Reisen nach Italien einen großen Aufschwung erlebte, dienten Ölgemälde als Souvenir.
In der Geschichte des Stadtbildnisses nimmt Venedig eine außergewöhnliche Rolle ein: Zum einen übte die Lagunenstadt mit ihren einmaligen Ansichten der Prachtbauten und den Reflexionen auf dem Wasser seit jeher eine große Faszination auf Künstler aus. Zum anderen wurde die einzigartige Kulisse schon im 15. Jahrhundert in Bildnissen der politisch und gesellschaftlich bedeutenden Ereignisse verewigt.

Stadtbild und Architektur. Spektakel und Inszenierung. Licht und Farbe.

Eröffnet wird die Ausstellung „Venedig. Stadt der Künstler“ mit einem riesigen Holzstich, der Pianta prospettica della città di Venezia (1500, Jacopo de‘ Barbari) – eine imposante Druckgrafik, die eine detailreiche Stadtperspektive zeigt. Es folgen weit über 100 Exponate: In frühen Darstellungen zeugen sie von der Bedeutung des Ortes, erste Stadtpanoramen entstanden aus Anlass wichtiger Festlichkeiten. Anfangs sind es sehr stimmungsvolle, detaillierte Darstellungen von Prozessionen, Empfängen oder Spektakeln, aber keineswegs realistische Abbilder der imposanten Architektur und bekannten Plätze. Das Ereignis steht im Mittelpunkt, die Stadt dient als Kulisse, oft in überzeichneter Form. Beeindruckend sind hier die „Wimmelbilder“ von Joseph Heintz dem Jüngeren, wie seine Darstellung eines Wettstreits auf der Ponte dei Pugni von 1673. Eine wichtige Rolle spielt die bildhafte Dokumentation der vielen Vergnügungen rund um den Karneval und der temporären Bauten zu historischen Feierlichkeiten.
Nach und nach wird die perspektivische und plastische Wiedergabe perfektioniert, die Ansicht der Stadt rückt mit dem Erfolg der Vedute in den Mittelpunkt. Es scheint, als wäre kein Motiv der prachtvollen Lagunenarchitektur ausgelassen. Während der politisch-wirtschaftliche Niedergang der Republik Venedig seinen Lauf nimmt, gewinnt die Vedutenmalerei zunehmend an Bedeutung.

Ausstellung „Venedig. Stadt der Künstler“

1. Oktober 2016–15. Januar 2017

Ausstellungskatalog

Reich bebilderter Ausstellungskatalog, erschienen im Hirmer-Verlag, mit lesenswerten Essays, teils in Übersetzung aus dem Italienischen von Maren Paetzold.

 

Trailer zur Ausstellung

Einen Blick in die Ausstellung und auf die gezeigten Werke bietet dieser Film: „Museumsfernsehen

Die Ausstellung bietet den malerischen, aber auch kritischen Blick auf die Lagunenstadt

Zahlreiche bedeutende Künstler – vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, von Canaletto bis Kandinsky – zeigen Venedig sowohl dokumentarisch als auch romantisch. Die Ausstellung vereint mit Leihgaben aus über 30 Sammlungen und sieben Ländern eine überraschend vielseitige Bilderschau. Neben Gemälden und Grafiken wird der Blick der Künstler auf Venedig durch das Medium Fotografie ergänzt: Die im 19. Jahrhundert entwickelte Daguerreotypie bot sich aufgrund der Langzeitbelichtung anfangs vor allem für die Architekturfotografie an. Großformatige Aufnahmen von Fotokünstlern des 21. Jahrhunderts schließlich führen bis in die heutige Zeit: Sie zeigen wiederum Architektur, aber auch gesellschaftliche Aspekte.

Zwischen den Ölgemälden mit dicken, goldverzierten Rahmen ruht ein Gondelnachbau aus alten Obstkisten und Sperrholz mitten im Ausstellungsgeschehen („Sozialkistentransport“, 1989, Martin Kippenberger). Wie schon in manchen Bildern findet sich auch hier der Verweis auf Vergänglichkeit und Verfall, auf Klischee und Mythos.

Man könnte meinen, in Venedig sei nichts dem Zufall überlassen: weder die repräsentativen Darstellungen noch das Bild eines pracht- und stimmungsvollen Sehnsuchtsortes. Auf sorgfältige Planung geht auch die Stadtanlage mit den vielen Blickachsen zurück. Aber ist diese großartige Architektur noch zu retten? Bereits der Kunsthistoriker und Maler Ruskin glaubte Ende des 19. Jahrhunderts, zur letzten Generation zu gehören, die Venedig noch sehen kann. Der in der Ausstellung gezeigte Dokumentarfilm „Das Venedig-Prinzip von 2012 lässt wenig Zweifel, dass mit dem Massentourismus und dem Anlegen der Kreuzfahrtgiganten im Markusbecken der Verfall besiegelt ist.

Wer schreibt hier?

Maren Paetzold
Maren Paetzold

Architektur & Sprache

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